Wut-Coaching – Verdammt nochmal, wer braucht denn so etwas!!!

 

Wut scheint in vielen Teilen der Gesellschaft zuzunehmen. Vielleicht aber war sie schon immer da und wird jetzt nur sichtbarer. Das könnte einerseits von Social Media beflügelt sein, wo jede:r nahezu ungehemmt seine Wut ausleben kann und andererseits einer zunehmend sensibilisierten Bevölkerung, die eher bereit ist, Selbiges aufzuzeigen und sich dagegen zu wehren.

In diesem Blog-Artikel werde ich weniger über die Auswirkungen von Wut schreiben, als über den Umgang damit. Doch der Umgang mit Wut ist ein sehr komplexes Thema.

Zunächst einmal will ich Ihnen eine kleine Zen Geschichte erzählen:
„Ein bekannter Krieger des Kaiser - ein Samurai – kam zu einem Zen-Meister, um ihm eine Frage zu stellen: ‚Kannst du mir den Unterschied zwischen Himmel und Hölle erklären?‘

Der Zen-Meister – ein alter Mann, mit einem spitzbübischem Grinsen in seinem Gesicht antwortete: ‚Das weißt du nicht? Was bist du denn für ein Dummkopf?‘ Das war natürlich für den stolzen und in seiner Truppe hochverehrten Samurai eine unglaubliche Beleidigung. Mit rotem Kopf zog er sein Schwert und wurde laut: ‚Wie kannst du es wagen, mich so zu beleidigen? Hüte deine Zunge oder ich …‘ . Der alte Meister lächelte milde und sagte mit leiser Stimme: ‚Das ist das Tor zur Hölle‘.

Der Samurai hielt inne und verstand. Er steckte das Schwert zurück und fiel auf die Knie. Der alte Meister fuhr mit seiner leisen Stimme fort und sagte: ‚Und das ist das Tor zum Himmel‘.”

Wut hat verschiedene Gesichter

In meiner Arbeit mit Menschen begegnet mir die Wut oftmals mit verschiedenen Gesichtern.

Viele Menschen haben ihre Wut nur schwer im Griff und fühlen sich ihr nahezu ausgeliefert, wenn sie plötzlich hochkocht - oftmals nur ausgelöst durch scheinbar kleine Dinge. Sei der Auslöser der/die Partner:in, die eigenen Kinder, Kolleg:innen im Job oder gar ein schnell eskalierender Streit um einen Parkplatz – alle Beteiligten leiden. Der/die Betroffene, weil er/sie sich hinterher schlecht fühlt und vielleicht wegen der Ungehaltenheit geniert und ebenso diejenigen, die unter dem Zornausbruch leiden mussten.

Oder so wie eine Klientin von mir vor einigen Jahren. Sie hatte regelmäßig mit Wutausbrüchen wegen kleinster Ursachen zu kämpfen - der Partner, die Mutter und auch die Kolleginnen im Job. Die alle hatten irgendwie das Talent ihr mit einer kleinen Bemerkung alle Knöpfe zu drücken. Sie wurde schnell wütend und oftmals auch laut. Am meisten litt sie aber an ihrer chronischen Wut: endlose Gedankenspiralen, in denen sie sich immer wieder von neuem über längst vergangene Situationen ärgerte. Sie hatte schon alles Mögliche ausprobiert bis hin zu Lachyoga und war jetzt in der Schwangerschaft fest entschlossen, diese Energie nicht ihrem Baby zumuten zu wollen.

Dann gibt es viele Menschen (weit mehr als Sie denken), die eine Wut im Bauch mit sich tragen und ihnen diese nicht einmal bewusst ist. Sie spüren nur einen Druck und haben das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Meistens ist dann ein anderes Gefühl vorherrschend (v.a. Traurigkeit).

Es gibt auch noch andere Ausprägungen: Kennen Sie bspw. Menschen, die wirklich niemals wütend werden? Entweder stehen diese Menschen kurz vor der Erleuchtung oder es besteht die Gefahr, dass es eines Tages plötzlich herausbricht und dann aber richtig.

Oder kennen Sie Sarkastiker? Also Menschen, die für jede Situation einen witzigen Kommentar mit beißendem Spott übrig haben? Nun, da ist eine Menge Wut im Spiel und der bissige Kommentar ist eben das Ventil.

Wut kann heilsam sein

So wie bei einer anderen Klientin, die mich kürzlich erst aufsuchte. Sie fühlte sich insgesamt antriebslos, chronisch müde und von beruflichen Zukunftsängsten geplagt. Ein Jahr zuvor hatte sie sich von ihrem Partner getrennt, nachdem sie rausgefunden hatte, dass er bereits seit einiger Zeit ein intimes Verhältnis zu einer anderen Frau hatte. Meine Klientin war deswegen immer noch sehr traurig und oftmals kamen ihr die Tränen am Abend, wenn sie alleine war und auch während sie mir diese Geschichte erzählte.

Auf mehrfaches Nachfragen und ein wenig Bohren meinerseits, was sie denn ihrem Ex am liebsten sagen würde, wandelte sich diese Aussage. War es anfangs noch „Ich bin so traurig“ und „Du hast mir weh getan“ wurde es sehr schnell zu „Wie konntest du so etwas tun“ und dann „Du verdammter A…“ (ab hier muss ich ihre Worte ein wenig zensieren).

Das Hochkochen ihrer Wut, worin ich sie anfangs noch unterstützte, ließ meine Klientin wieder zunehmend lebendig erscheinen. Sie war dabei selber erstaunt, da ihr die Wut gar nicht bewusst gewesen war. Ihre Lebendigkeit mündete schließlich in allerlei sportlichen Aktivitäten, die Antriebslosigkeit war schnell wie weggeblasen und die beruflichen Zukunftsängste begannen sich zu relativieren.

Wut ist ansteckend

Betrifft sie alles nicht? Sie sind ein freundlicher und ausgeglichener Mensch? Gratulation, das freut mich immer zu hören (ehrlich!). Halten Sie Ihr Umfeld möglichst rein, da Wut ansteckend sein kann.

Manchmal ist das aber gar nicht so leicht. Denn Wut - egal in welcher Ausprägung und egal von wem sie an Sie herangetragen wird – kann einen Einfluss auf Sie haben und Ihrer Ausgeglichenheit schnell Kratzer zufügen. Ein chronisch wütender Partner/wütende Partnerin, Maskenverweigerer oder andere Protestierende in der Öffentlichkeit oder der/die Vorgesetzte mit cholerischen Angewohnheiten genügen dafür bereits.

Wie gesagt, halten Sie Ihr Umfeld so rein wie möglich.

Und wenn wir schon von ansteckender Wut sprechen, dann muss ich natürlich auch den Straßenverkehr erwähnen. Ein Ort, an dem viele Menschen zusammenkommen und trotz vieler Regeln und Schilder (alleine 20 Millionen in Deutschland!) oftmals Uneinigkeit herrscht. Und es ist vor allem ein Ort, an dem viele Menschen, bewusst oder unbewusst, versuchen, „ihr“ Revier zu verteidigen. Letzteres ist natürlich nicht möglich, da es das nicht gibt, es ist immer „unser“ Revier - egal wie oft man “Ich, ich!” hupt.

Genaue Zahlen für Deutschlands Straßen zum Thema Wut und Aggression lassen sich kaum finden. Für die USA dagegen hat die AAA (der “US-amerikanische ADAC”) vor ein paar Jahren eine Studie über das zunehmende Auftreten von Verkehrsrowdytum („road rage“) veröffentlicht:

80 % der befragten Fahrer haben im Jahr davor mindestens einmal Wut, Aggression oder Rowdytum am Steuer gezeigt. Und 2.8 % (das sind immerhin 5.7 Millionen Fahrer!) rammten oder fuhren auf ein anderes Fahrzeug ABSICHTLICH auf. Sie benutzten ihr Fahrzeug also als Waffe, gar nicht wenige von ihnen sogar wiederholt.

Wut ist etwas natürliches

Trotz allem ist Wut zunächst einmal ein natürliches Phänomen. Sie ist eine normale Reaktion auf eine Kränkung oder eine Beeinträchtigung bzw. Beschränkung des eigenen Raumes. In der Natur kommt sie ganz plötzlich und vergeht dann auch wieder schnell. Biologisch gesehen brauchen wir sie um unseren Lebensraum zu verteidigen, das macht Sinn.

Sie zeigt sich als Gereiztheit oder als aggressives Verhalten, bei vielen Menschen dagegen eher als ein konstanter innerer Druck. Die Lebensqualität wird in jedem Falle deutlich beeinträchtigt, natürlich auch die des sozialen Umfeldes. Schwere Schäden können angerichtet werden, wenn wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen: an jemand anderem (durch die Aggression nach außen) oder an sich selbst (durch das Herunterschlucken der Wut).

Wir können uns durch verschiedene Ereignisse in unserem Leben ein Wut-Thema aneignen. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir Wutprobleme entwickeln, wenn wir in unserem Leben wiederholt auf sehr grobe oder unfaire Weise behandelt werden. Bspw. wenn unsere Eltern uns angeschrien oder die Lehrer uns ignoriert haben oder diese uns ohne Grund schlechte Noten gaben oder unser Vorgesetzter ständig grob und unfreundlich ist. Diese Erfahrungen bleiben im Unterbewusstsein gespeichert.

Als Kind - und manchmal auch später als Erwachsener - schaffen wir es nicht, für uns aufzustehen und uns zu wehren. Dann müssen wir akzeptieren, was passiert, und die Wut hinunterschlucken. Oder wir sind überempfindlich und reagieren auf solche Situationen sofort damit, dass wir laut werden und zum Gegenangriff übergehen. 

Kontrollieren der Wut – keine Lösung

Es gibt unzählige Gesetze, die uns dazu auffordern, Wut unter Kontrolle zu halten. Schlagen Sie eine beliebige Tageszeitung auf oder drehen Sie eine Runde mit dem Auto in einer mitteleuropäischen Großstadt, um zu sehen, dass das nicht funktioniert.

Es scheint, als ob die „Schicht der menschlichen Zivilisation“, die über unserem rohen, animalistischen Kern liegt, sehr, sehr dünn ist. Manchmal schaffen wir es für eine begrenzte Zeit, die Wut unter Kontrolle zu halten. Allzu oft klappt das aber einfach nicht. Nicht einmal dann, wenn unkontrollierte Wut in unserer Gesellschaft geächtet ist und durch Gesetze im Zaum gehalten werden soll.

Ausagieren der Wut – eine begrenzte Lösung

Betreiber von Wuträumen nehmen für sich in Anspruch, hier zu helfen: „Drücken Sie Ihre Wut aus, lassen Sie etwas Dampf ab und Sie werden sich besser fühlen“. Haben Sie schon einmal einen Wutraum besucht? Sie finden so etwas meistens in der Großstadt.

Mieten Sie sich ein und machen Sie Ihrem Ärger Luft. Gesichert durch Schutzkleidung und mit Vorschlaghammer oder Baseballschläger bewaffnet, können Sie Geschirr, Elektrogeräte oder - je nach Budget - ganze Wohnungseinrichtungen zertrümmern. Eine gute Idee, zumindest, um Dampf abzulassen. Die Wut zu kontrollieren ist ja langfristig niemals möglich, wie oben bereits beschrieben.

Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie tun dies und fühlen sich danach wohl und erleichtert. Und dann fahren Sie nach Hause, jemand nimmt Ihnen die Vorfahrt und anstatt sich zu entschuldigen, beschimpft Sie dieser Typ auch noch. Sie kochen für einen Moment hoch, wollen etwas Ähnliches zurückschreien, aber dann fällt Ihnen ein: „Warte, ich gehe morgen einfach zurück in den Wutraum und lasse meinen Dampf ab."

Tolle Idee, auf jeden Fall besser als in einen Streit zu geraten oder sogar etwas Schlimmeres. Und dann aber passiert Ihnen am nächsten Tag genau dasselbe wieder. Merken Sie, wohin das führt? Auf diese Weise können Sie für den Rest Ihres Lebens regelmäßig Wuträume besuchen - endlos. Oder Sie kehren zu Ihrem alten Muster zurück und lassen Ihre Wut hochkochen oder schlucken sie herunter.

Irgendwie doof, oder? Die Wut auszuagieren, scheint jedenfalls keine nachhaltige Lösung zu sein.

Transformieren der Wut – die einzige nachhaltige Lösung

Noch eine kleine Zen Geschichte:
„Ein spiritueller Meister ging, gemeinsam mit seinem Schüler, des Weges. Sie begegneten einem Mann, der plötzlich und ohne ersichtlichen Grund, auf den Meister losging und ihn niederschlug.

Der Meister stand auf, klopfte den Staub aus seinen Kleidern und ging weiter. Sein Schüler war empört und außer sich, er würde diesem Mann am liebsten eine runterhauen. Doch sein Meister war schon weitergegangen.

Er lief im nach und fragte stotternd und voller Wut: ‘Willst du denn diesen Kerl nicht wenigstens fragen, warum er das gemacht hat?’. Der Meister ging ungerührt seines Weges und antwortete nur: ‘Nein, wieso? Es ist sein Problem’“.

Nun, ich denke, Sie ahnen bereits, dass dieser Meister seine Wut transformiert hat. Seine Reaktion ist weder mit Wut-Kontrolle, noch mit regelmäßigem Ausagieren der Wut zu erreichen.

Transformation geschieht, wenn ein tiefes Verständnis (tiefer als unsere Gedanken und unser Verstand reichen) dazukommt. Es ist wichtig, wirklich zu verstehen und zu spüren, woher die Wut kommt, und sich damit vertraut zu machen. Und wenn Sie Ihre Wut kennen, dann kann diese sich transformieren. Aber es ist der einzige Weg zu innerem Frieden.

Nachhaltige Arbeit mit Wut umfasst die folgenden Schritte:

  • Bewusstheit: Zunächst einmal muss man ein tiefes Verständnis der eigenen Muster rund um die Wut erlangen. Wie äußert sie sich in unserem Leben, woher kommt sie und wie verstärken wir sie unbewusst?

  • Ausdruck: Dann geht es darum, das darunter liegende Gefühl in den Griff zu bekommen und Wege zu finden, unsere Emotionen auf sichere und gesunde Weise auszudrücken. Hier braucht es spezifische Techniken aus dem Bereich der Meditation, die unser Unterbewusstsein ansprechen und uns Dinge offenbaren, die wir normalerweise nicht sehen.

  • Transformation: Schließlich erfahren wir dann eine tiefe Veränderung, die Transformation. Durch die Anwendung aller Schritte wird aus Wut Mitgefühl, auch wenn dies derzeit unmöglich oder sogar seltsam erscheinen mag.

Zusammenfassung

Wut ist normal und gesund. Der in der Gesellschaft übliche Umgang mit der Wut ist es nicht. Er führt dazu, dass wir entweder andere oder uns selber schädigen.

Man kann Wut nicht dauerhaft kontrollieren, niemand kann das.

Das Ausagieren von Wut in einem sicheren Umfeld ist schon einmal ein guter Schritt in die richtige Richtung, aber es ist keine nachhaltige Lösung.

Der einzige nachhaltige Weg, das Problem mit der Wut zu lösen, ist die Transformation von Wut. Und damit steigt unsere Lebensqualität enorm an und wir befinden uns auf dem Weg zu unserem inneren Frieden.